Der Tanz ums goldene Kalb hat begonnen. Das Tier wird zum Gott erhoben. Der Mensch wird Vegetarier. Iris Radisch outet sich als Priesterin einer neuen Religion. Und Jonathan Safran Foer frohlockt: an amerikanischen Universitäten gibt es schon 18 Prozent Vegetarier – mehr als Katholiken. Weil der aufgeklärte Mensch einen transzendenten Gott als höchste Instanz leugnen muss, unterscheidet ihn nichts mehr von den Tieren. Wenn er aber auch nur Tier ist, hat er sein Recht Tier zu essen verwirkt. Das Ganze verkaufen uns Radisch und Foer dann als moralischen Fortschritt.

Wie dumm! Die frühen Christen befreiten uns einst von den Essensvorschriften der Religionen und nun kehren sie in noch radikalerem Gewand zurück. Fleischverzicht total. Warum predigt eigentlich niemand Sexverzicht? Vegetarier seien sexy, so Foer. Und Radisch meint, dass der Verzicht allen helfen würde. Was die beiden wohl zum Thema Zölibat zu sagen hätten? Interessanterweise werden katholische Priester ob ihres freiwilligen Verzichtes auf Sex in diesen Tagen geradezu verachtet. Der Sexualtrieb wird als Natur des Menschen und damit ununterdrückbar festgestellt. Aber wenn der Mensch auf Fleisch verzichten kann, um dadurch die Welt zu verbessern, warum können dann nicht auch Priester dem Geschlechtsverkehr entsagen? Das Leid der Tiere in Massenzuchten sei unbestritten, was aber ist mit dem Leid der Frauen und Männer im Rotlichtmilieu? Wäre weniger Sex nicht ungemein heilsam für unsere Welt. Angefangen von den Problemen mit AIDS, Überbevölkerung und Sexualstraftaten, bis hin zu den traumatischen Folgen bei unseren Kindern, die keine intakten Familien mehr vorfinden. Sollte der Mensch nicht zu allererst sein soziales Verhalten in Frage stellen und ändern, bevor er ein paar Schweine vor dem Metzger rettet?

Die Vegetarier lehren uns, dass Verzicht durchaus eine Befreiung sein kann. Der Mensch bleibt frei, zu essen oder nicht zu essen, was ihm beliebt. Scheinheilig wird es erst, wenn er Tiere schützt und gleichzeitig Menschen – wenn auch nur seelisch oder ungewollt – verletzt. Pervers ist derjenige, der auf Steaks verzichtet, aber seine Frau mit einem Seitensprung betrügt. Was unsere Zeit dringend braucht ist Menschlichkeit.

„Tiere sind auch nur Menschen“ von Iris Radisch
» http://www.zeit.de/2010/33/Vegetarismus-Essay

„Donnerstags kein Fleich“ Interview mit Jonathan Safran Foer
» http://www.zeit.de/2010/33/Vegetarismus-Interview

 

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